Queere Frauenfiguren in deutschen Serien: Von „Marbecca“ zu „Mieke“ (Ein Jubiläumsbeitrag)

Im Oktober 2012 habe ich zum ersten Mal eine Übersicht mit queeren Frauenfiguren in deutschen Serien veröffentlicht. Seitdem hat sich nicht nur die internationale, sondern auch die deutsche Serienwelt weiterentwickelt. Und trotzdem: In Sachen Vielfalt haben viele deutsche Produktionen immer noch Nachholbedarf.

Wer hier schon ein bisschen länger mitliest weiß, dass ich mich regelmäßig mit der Frage beschäftige, welche queeren Frauenfiguren es in deutschen Serien gibt und vor allem wie viele.

Angefangen hat das im Oktober 2012. Ich habe zwar auch schon vorher über frauenliebende Frauen in deutschen Serien geschrieben, jedoch nur punktuell und anlassbezogen. Die Veröffentlichung der Studie “Where We Are on TV“, die regelmäßig von der amerikanischen Lobby-Organisation GLAAD herausgegeben wird, hat mich aber 2012 dazu gebracht, mal zu überlegen, wie es eigentlich allgemein in deutschen Serien aussieht. Das Ergebnis war ernüchternd, insbesondere im Vergleich mit den Zahlen aus den USA. Ich kam auf acht Figuren in sieben Serien: Rebecca und Marlene von Lahnstein (alias „Marbecca“) in Verbotene Liebe, Tanja Schildknecht in Lindenstraße, Bärbel Schmied in Mord mit Ausschicht, Lucy Palm ind Hannah Mangold & Lucy Palm, Dr. Heike Steinbeck in Die Chefin, Dr. Helga Dunkel in Einsatz in Hamburg und Karin von Lomanski in Rosa Roth.

Mehr Frust als Lust

In den vergangenen zehn Jahren hat sich diese Zahl zum Glück zum Positiven entwickelt, wenn es auch anfangs nicht so aussah. Tatsächlich wurde die Liste zunächst sogar kürzer statt länger. Das hing auch damit zusammen, dass 2015 Verbotene Liebe eingestellt wurde, bis dahin ein verlässlicher Lieferant queerer Storylines wie z.B. die von „Marbecca“. Die noch verbliebenen „Dailies“, insbesondere in der ARD, taten sich dagegen schwer mit Liebesgeschichten zwischen Frauen. 2016 war ich von der Entwicklung insgesamt so frustriert, dass ich mir in einem „Rant“ auf meinem Blog Luft machte. Kurz danach durfte ich dazu auch einen Artikel für die taz schreiben.

Besser wurde es leider trotzdem nicht, zumindest nicht sofort. Erst 2019 sah ich Anlass für vorsichtigen Optimismus und schrieb dazu, nach drei Jahren Pause, auch wieder einen Blogbeitrag. Dieser Optimismus hat sich zwar nicht vollständig bestätigt, aber immerhin konnte ich in den Folgejahren immer mal wieder neue Figuren in die Übersicht aufnehmen.

Was mich zu heute führt und der Frage, wo wir eigentlich gerade stehen, zehn Jahre nach der ersten Liste.

„Queer auf dem Papier“

Nun ja. Geht man allein nach der Übersicht, die ich gerade frisch aktualisiert habe, sieht es nach einem Fortschritt aus. Dort sind 12 Serien aufgeführt, zu deren Figurenensemble derzeit queere Frauen gehören, jedenfalls theoretisch. In der Praxis sieht man davon nämlich manchmal wenig.

Bei einigen Figuren wurde zwar angedeutet, dass sie queer sind, es wird jedoch nie gezeigt. Hierzu zählt u.a. SOKO Köln, wo hinsichtlich der neuen Chefin Helena in ihrer ersten Staffel gleich zweimal deutlich gemacht wurde, dass sie Beziehungen mit Frauen hatte. Danach war davon aber nie wieder die Rede.

Und bei einigen Figuren scheinen selbst die Autor*innen vergessen zu haben, dass sie – zumindest auch – Frauen lieben. Sie waren zwar mal mit einer Frau zusammen, danach jedoch nie wieder. Weil ich diese Figuren für die Repräsentation wenig hilfreich, teilweise sogar kontraproduktiv finde, habe ich mir für sie eine eigene Kategorie überlegt: „Queer auf dem Papier“. Und so wird die Liste der für die Sichtbarkeit tatsächlich relevanten queeren Figuren dann wieder kürzer.

Positive Entwicklung bei den Öffentlich-Rechtlichen

Was jedoch auffällt: Insbesondere für das öffentlich-rechtliche Programm produzierte Serien tun sich in Sachen Repräsentation aktuell hervor. Hier scheint inzwischen bei den jeweiligen Rundfunkanstalten angekommen zu sein, dass zu ihrem Programmauftrag auch gehört, Vielfalt zu zeigen. Vor allem neuere Produktionen von ZDFneo sind in dieser Beziehung ganz vorn dabei: In Loving Her, Wir, Becoming Charlie und Vierwändeplus wurden bzw. werden ganz selbstverständlich queere Figuren gezeigt und queere Geschichten erzählt, sogar als Hauptstoryline.

Auch hier gibt es jedoch leider einen Haken. Denn diese Serien bleiben meistens unter der Aufmerksamkeitsschwelle eines größeren Publikums, weil sie eben nicht im Hauptprogramm des ZDF laufen. Außerdem haben sie in der Regel wenige und nur kurze Folgen. Aber immerhin: Es gibt sie, vor allem auch jeweils für längere Zeit in der ZDF-Mediathek und damit für alle leicht zugänglich.

Bessere Chancen, ein größeres Publikum zu erreichen, hatte dagegen Eldorado KaDeWe, das Ende vergangenen Jahres zur Primetime im Ersten gelaufen ist. Zumindest die ersten Folgen, denn da alle sechs Folgen am Stück gezeigt wurden, lief das Finale spät in der Nacht. Aber immerhin war es ein wichtiger Schritt für die Sichtbarkeit, denn im Zentrum der Serie stand eine lesbische Liebesgeschichte. Die Probleme bei der Pressearbeit, die Regisseurin und Autorin Julia von Heinz auf Instagram beschrieben hat, sind zwar angesichts der Tatsache, dass wir im 21. Jahrhundert leben, bedauerlich, hält aber hoffentlich die ARD nicht davon ab, solche Geschichten vermehrt in der Primetime zu erzählen.

Regenbogenfamilie in der ARD-Primetime

Apropos Primetime: Das sichtbarste Frauenpaar in einer Serie dürften aktuell noch immer Miriam und Rieke in In aller Freundschaft bilden. Und das, obwohl zwischen den Storylines, bei denen sie im Mittelpunkt stehen, immer wieder jeweils mehrere Wochen oder sogar Monate vergehen. Für manche queeren Serienfans, die sonst Frauenpaare in US-Serien verfolgen, ist die Entwicklung ihrer Geschichte zu langweilig und bietet zu wenig Drama. Ich finde das allerdings gerade gut. Denn ihre Geschichten sind alltäglich und damit für das Zielpublikum von IaF nachvollziehbar, einer Serie, die regelmäßig Topquoten erzielt. Die beiden sind ein Pärchen wie jedes andere in der Serie auch, inzwischen sogar verheiratet und mit Nachwuchs, ihrem Pflegesohn Cosmo. Und wenn queere Figuren in deutschen Serien schon selten zu sehen sind – Regenbogenfamilien sind es sogar noch seltener.

Alles in allem geht es in Sachen Sichtbarkeit queerer Frauen in deutschen Serien also voran. Es ist aber immer noch viel Luft nach oben, vor allem bei den so beliebten Krimiserien. Hier werden zwar immer mehr auch queere Figuren gezeigt, jedoch noch sehr häufig nur in einzelnen Episoden, d.h. im Zusammenhang mit dem jeweiligen Fall, in dem ermittelt wird. Damit sind sie dann in der Regel Opfer, Täter oder beides.

Zwar gibt es inzwischen auch einige queere Ermittlerfiguren. Angesichts der schieren Masse an Krimiserien ist das aber noch ausbaufähig. Immerhin: In der neuen ZDF-Krimireihe Wendland ermittelt auch eine Kommissarin mit, die mit einer Frau verheiratet ist. Bisher ist von der Reihe erst eine Folge gelaufen, es werden aber noch weitere gedreht. Hoffentlich dann auch weiterhin mit Kira und Birthe Engelmann.

Der Blogbeitrag aus 2012, um den es zu Beginn dieses Textes geht, war zwischenzeitlich offline. Zum Jubiläum habe ich ihn rausgekramt, abgestaubt und auf medienbloggerin.de wieder veröffentlicht. Die dort aufgeführten Figuren und andere, über die ich im Laufe der Jahre geschrieben habe, nehme ich nach und nach in den Archivteil der Übersicht queerer Frauenfiguren in deutschen Serien auf. Dieser befindet sich noch im Aufbau.